24. März 2015
von Heike Pfirrmann
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Stilleben

Wie zwei Rivalen schauen wir uns: sie aus ihren grünen Augen, ich aus meinen. Abrupt bleibt sie stehen, als sie mich erblickt. Bewegungslos beobachte ich die schwarze Katze, die sich sichtlich unwohl, vielleicht sogar bedroht fühlt. Ringsum Schnee. Der Garten sieht aus, als hätte soeben die Geburtstagsgesellschaft die Gartenparty verlassen. An einem Apfelbaum hängen vertrocknete Früchte und vier Ballonlampen in blau, rot, lila und gelb. Fast erstaunt es, dass sie nicht mehr leuchten. Auf dem Holztisch vier Teelichter, vor Monaten ausgepustet. Der Stamm des Apfelbaumes wächst beinahe parallel zum Boden und macht erst im letzten Moment einen entscheidenden Schlenker gen Himmel. Eine zersprungene grüne Bierflasche baumelt sanft an einem der blutroten Zweige des Hartriegels. Ein Steinhaufen liegt zu seinen Füßen, mit Moos und Algen überzogen erinnert er an ein Grab. Eiskristalle fallen aus dem weißen Himmel und prasseln auf meine Kapuze. Ich sehe mich um; die Katze ist verschwunden.

12. März 2015
von Heike Pfirrmann
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“Tatsächlich denke ich manchmal, dass nur die Autobiografie wirkliche Literatur ist. Romane sind Schalen, die wir entfernen, um im Innersten anzukommen.” (Virginia Woolf)

27. Februar 2015
von Heike Pfirrmann
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„Ungeschehen“ von Tina Seskis – eine kurze Buchkritik

Ungeschehen

Ungeschehen: als Taschenbuch erschienen im rororo Verlag 2014, ISBN 978-3-499-26926-4, 336 Seiten, 9,99 Euro

Mit ihrem Debütroman „Ungeschehen“ hat die Engländerin Tina Seskis einen Überraschungcoup gelandet. Schon allein die Idee, das alte Leben zurückzulassen und sich eine neue Identität überzustülpen, machte mich neugierig. Ein weiterer Grund für den Erfolg ist sicherlich auch der gelungene Spannungsaufbau: Für die Leserin bleibt es bis zum Ende rätselhaft, warum die liebende Mutter und brave Rechtsanwältin Emily Coleman Mann, Kind und Heim in Devon verlässt, um in London zu einem Drogen konsumierenden Partygirl zu mutieren. Hierbei nimmt ihre Herkunftsfamilie – vor allem ihre extrem gegensätzliche, egozentrische und ungeliebte Zwillingsschwester Caroline – eine nicht ganz unwichtige Rolle ein.
Tina Seskis schafft es, mit ihrem Sprachstil einerseits die Niedergeschlagenheit der Protagonistin und andererseits auch deren aufkeimende Hoffnung auf ein neues Leben zum Ausdruck zu bringen.
Auch für die Leserin ein wahres Wechselbad der Gefühle!

Aus dem Englischen von Mechthild Sandberg-Ciletti.

6. November 2014
von Heike Pfirrmann
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Sterben, Lieben, Spielen, Leben

Es gibt einen neuen Mann in meinem Leben. „Na und“, werden Sie nun sagen und Ihr rechter Zeigefinger ist schon in Weiterklickposition. Machen Sie keinen Fehler und geben Sie mir noch ein paar Zeichen: Ich bin nämlich bereit, dieses Prachtexemplar mit Ihnen zu teilen! „Aha“, denken Sie jetzt und wollen doch weiterlesen.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke … vielleicht ist es auch gar nicht so gut, Ihr Interesse an diesem Mann zu wecken – nicht, weil ich ihn jetzt doch für mich behalten wollte, nein, sondern weil er ein gewisses Suchtverhalten auslöst, und ich nicht weiß, ob ich die Verantwortung für Ihr weiteres Leben übernehmen möchte. Die englische Autorin Zadie Smith – Jahrgang ´75 und gerade mal vier Jahre jünger als ich – stellte fest, dass er „nach 200 Seiten so süchtig macht, als wäre ich auf Crack. Hat mich total umgehauen.“ Tja, was soll ich sagen? Auch ich kann kaum meine Finger von ihm lassen. Die Rede ist vom norwegischen Autor Karl Ove Knausgård – gerade mal drei Jahre älter als ich.

Von seiner sechsbändig angelegten Autobiografie mit dem Titel „Min Kamp“ bin ich am Ende des vierten Bands angelangt, die beiden Letzten sind noch in der Mache. Inzwischen ist es so schlimm, dass ich die letzten hundert der insgesamt über sechshundert Seiten nur noch im Schneckentempo lese, damit ich danach nicht so lange auf Entzug bin. Das Merkwürdige daran ist, dass nicht wirklich was Spannendes passiert, es gibt keinen erkennbaren Plot, im Gegenteil, es plätschert so dahin, der Alltag mit all seinen wiederkehrenden, teils banalen Ereignissen ist die eigentliche Geschichte – und die ist noch nicht einmal chronologisch angelegt.

Mit seiner unglaublich radikal-ehrlichen Art zu schreiben, schafft es Karl Ove (ja, ich kenne ihn schon so gut, dass ich ihn beim Vornamen nenne) mich zu fesseln, so sehr, dass ich manchmal glaube, er spricht von mir und meinen Empfindungen, und das, obwohl ich kein Mann bin. So erzählt er zum Beispiel von der Geburt seines ersten Kindes, beschreibt einen Kindergeburtstag aus Sicht eines unbeteiligten Beobachters (fast, als wolle er eine Verhaltensstudie überengagierter, verblendeter Eltern anfertigen), berichtet so von den brutalen Attacken seines unberechenbaren trinkenden Vaters, dass man selbst fast vor Angst erstarrt, und zeigt, wie die eigenen Bedürfnisse – vergraben unter familiären Zwängen – ihr Schattendasein fristen und immer mal wieder in Ausbrüchen sich Bahn brechen.

„Was soll denn daran so interessant oder gar literarisch sein?“, werden Sie sich fragen – und das vielleicht sogar zu Recht. Ist das nicht schon Reality-TV auf RTL-Niveau? Ist es das Voyeuristische, was mich in seinen Bann zieht? Zu sehen, wie er in allen Lebensbereichen die Hosen runterlässt, kein Blatt vor den Mund nimmt, ohne Angst und Scham? Wer traut sich das schon in der Literatur? Bei vielen der Begegnungen und Erlebnisse stelle ich mir die Frage, wie genau er dokumentiert hat: Hat er alles so differenziert, so wortwörtlich in seinen Tagebüchern festgehalten?
Wenn ich bei Freunden von ihm schwärme, fragen alle nur: Wie heißt der? Und dann will ich schreien: Karl Ove Knausgård! Jüngst las ich, dass Karl Ove in den USA einen wahren Hype ausgelöst hat. Ich bin also nicht ganz allein mit meiner Sucht!

 

Porträt Karl Ove | Buchtitel

23. Juni 2014
von Heike Pfirrmann
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“Wenn etwas leicht zu lesen ist,
dann war es schwer zu schreiben.”
(Enrique Jardiel Poncela)

23. Juni 2014
von Heike Pfirrmann
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Machen Tomaten autonom?

Tomaten schreiben Geschichte. Noch heute ist die Frage ungeklärt, wie weit die Tomate flog. Das feministische Experiment zur Ballistik der roten Beere im Jahre 1968 ging damals durch die Weltpresse. Wegen Missachtung der Belange der Frauen auf einer Versammlung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) warf die Studentin Sigrid Damm-Rüger wütend eine Tomate Richtung Rednerpult. Sie wollte dem SDS-Bundesvorsitzenden Helmut Schauer die Röte nicht nur mit Worten ins Gesicht treiben. Dass dieses Wurfobjekt ausgerechnet einen schwulen und in keiner Weise frauenfeindlichen Mitstreiter traf, hatte die erzürnte Zuhörerin nicht geplant. Trotz Verfehlung des Ziels stellt der Wurf dieser weiche rote Frucht einen wichtigen Meilenstein in der Frauenbewegung dar.

Nicht nur im echten Leben, sondern auch im Film kommt die Tomate zu Ruhm und Ehre. In dem amerikanischen Film „Fried Green Tomatoes“ nach dem Buch von Fannie Flagg führt der Erfolg eines geheimen Rezepts gebratener grüner Tomaten in ihrem gemeinsam eröffneten Café zwei Frauen in die Unabhängigkeit und Emanzipation.

Dass die roten Früchte nicht nur zum Signet des Feminismus wurden, sondern seit den 20er Jahren als Symbol für Treulosigkeit herhalten müssen, hat – schenkt man dem Herderschen „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ Glauben – folgende Bewandtnis: Angeblich ein Treuebruch gepaart mit der damals recht erfolglosen Kultivierung der Tomatenpflanze in unseren Breiten brockten dem Tomaten essenden Italiener die Bezeichnung „Treulose Tomate“ ein. Im ersten Weltkrieg nahmen die Italiener zunächst eine neutrale Haltung ein. Die Deutschen glaubten jedoch, Italien stünde auf ihrer Seite. Als die Südländer sich letztlich doch für die Alliierten aussprachen, bedeutete das für die Deutschen Treulosigkeit, für Italien Entscheidungsfreiheit und Gebietszusagen – vielleicht ja zur Ausdehnung des Tomatenanbaus?

Nimmt man die Tomaten von den Augen, wird eines klar: Ob grün oder rot, ob real oder fiktiv, ob treulos oder zuverlässig – die Tomate ist zum Symbol für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit geworden.


Fußnote
Vom Liebesapfel zum Wasserball
„Paradeiser“ nennen die Österreicher liebevoll die Tomate mit dem botanischen Namen Lycopersicon esculentum. Das in Mexiko heimische Nachtschattengewächs, das die Spanier im 16. Jahrhundert nach Europa brachten, wurde zunächst meist unter der Bezeichnung „Liebesapfel“ als Arznei- und Zierpflanze gehalten. Man nahm an, dass die Tomate giftig sei. Heute steht sie in der Weltproduktion an erster Stelle des Gemüseanbaus. Die früher aromatische Beere ist jedoch mittlerweile zur geschmacklosen, wässrigen „Anti-Matsch-Tomate“, einem langweiligen, transgenen Massenprodukt, mutiert.