6. November 2014
von Heike Pfirrmann
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Es gibt einen neuen Mann in meinem Leben. „Na und“, werden Sie nun sagen und Ihr rechter Zeigefinger ist schon in Weiterklickposition. Machen Sie keinen Fehler und geben Sie mir noch ein paar Zeichen: Ich bin nämlich bereit, dieses Prachtexemplar mit Ihnen zu teilen! „Aha“, denken Sie jetzt und wollen doch weiterlesen.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke … vielleicht ist es auch gar nicht so gut, Ihr Interesse an diesem Mann zu wecken – nicht, weil ich ihn jetzt doch für mich behalten wollte, nein, sondern weil er ein gewisses Suchtverhalten auslöst, und ich nicht weiß, ob ich die Verantwortung für Ihr weiteres Leben übernehmen möchte. Die englische Autorin Zadie Smith – Jahrgang ´75 und gerade mal vier Jahre jünger als ich – stellte fest, dass er „nach 200 Seiten so süchtig macht, als wäre ich auf Crack. Hat mich total umgehauen.“ Tja, was soll ich sagen? Auch ich kann kaum meine Finger von ihm lassen. Die Rede ist vom norwegischen Autor Karl Ove Knausgård – gerade mal drei Jahre älter als ich.
Von seiner sechsbändig angelegten Autobiografie mit dem Titel „Min Kamp“ bin ich am Ende des vierten Bands angelangt, die beiden Letzten sind noch in der Mache. Inzwischen ist es so schlimm, dass ich die letzten hundert der insgesamt über sechshundert Seiten nur noch im Schneckentempo lese, damit ich danach nicht so lange auf Entzug bin. Das Merkwürdige daran ist, dass nicht wirklich was Spannendes passiert, es gibt keinen erkennbaren Plot, im Gegenteil, es plätschert so dahin, der Alltag mit all seinen wiederkehrenden, teils banalen Ereignissen ist die eigentliche Geschichte – und die ist noch nicht einmal chronologisch angelegt.
Mit seiner unglaublich radikal-ehrlichen Art zu schreiben, schafft es Karl Ove (ja, ich kenne ihn schon so gut, dass ich ihn beim Vornamen nenne) mich zu fesseln, so sehr, dass ich manchmal glaube, er spricht von mir und meinen Empfindungen, und das, obwohl ich kein Mann bin. So erzählt er zum Beispiel von der Geburt seines ersten Kindes, beschreibt einen Kindergeburtstag aus Sicht eines unbeteiligten Beobachters (fast, als wolle er eine Verhaltensstudie überengagierter, verblendeter Eltern anfertigen), berichtet so von den brutalen Attacken seines unberechenbaren trinkenden Vaters, dass man selbst fast vor Angst erstarrt, und zeigt, wie die eigenen Bedürfnisse – vergraben unter familiären Zwängen – ihr Schattendasein fristen und immer mal wieder in Ausbrüchen sich Bahn brechen.
„Was soll denn daran so interessant oder gar literarisch sein?“, werden Sie sich fragen – und das vielleicht sogar zu Recht. Ist das nicht schon Reality-TV auf RTL-Niveau? Ist es das Voyeuristische, was mich in seinen Bann zieht? Zu sehen, wie er in allen Lebensbereichen die Hosen runterlässt, kein Blatt vor den Mund nimmt, ohne Angst und Scham? Wer traut sich das schon in der Literatur? Bei vielen der Begegnungen und Erlebnisse stelle ich mir die Frage, wie genau er dokumentiert hat: Hat er alles so differenziert, so wortwörtlich in seinen Tagebüchern festgehalten?
Wenn ich bei Freunden von ihm schwärme, fragen alle nur: Wie heißt der? Und dann will ich schreien: Karl Ove Knausgård! Jüngst las ich, dass Karl Ove in den USA einen wahren Hype ausgelöst hat. Ich bin also nicht ganz allein mit meiner Sucht!
Porträt Karl Ove | Buchtitel